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REZENSION (ursprünglich erschienen in AmigaGadget Nr.28)

Fish: Krakow

Plattenlabel :Dick Bros Record Co. Ltd.
Genre :Rock
Spieldauer :114:04 min
Preis :ca. 40 DM

Schon bei den letzten "Gadget"-Rezensionen von Alben des schottischen Rockbarden und ehemaligen "Marillion"-Frontmannes Derek W. Dick, genannt "Fish", war der Hauptkritikpunk das Fehlen neuen Materials - entweder als "Akustik"-Session oder über die "Best Of"-Alben bekam das Publikum fast ausschließlich aufgewärmte Stücke früherer Studioalben geboten. Das schon seit längerem angekündigte Album "Sunsets of Empire", welches völlig neue Songs enthalten wird, soll nun erst im Frühjahr oder gar Mitte 1997 erscheinen. Damit bis dahin noch Geld in die Kasse kommt, äh, pardon, damit sich die Fans, die nicht die Gelegenheit hatten, eines der Konzerte der großen Europatournee Fishs 1995 zu besuchen, einen Eindruck von diesem Ereignis machen können, ist nun über die "hauseigene" Plattenfirma "Dick Bros Records" eine Doppel-CD erschienen, die den im Zuge einer landesweiten Fernsehübertragung entstanden Live-Mitschnitt des Konzertes im polnischen Krakau (auf Englisch: "Krakow") enhält. Schlechte Chancen für neues Material...

Und so ist das erste Stück der CD auch gleichzeitig das einzige, das bisher noch auf keiner offiziellen CD von Fish zu hören war. "Black Canal" ist ein düsterer Song, dessen über weite Strecken atonale Instrumentierung genauso wie der monotone Sprechgesang Fishs nur zeitweilig von harten Gitarrenläufen Frank Ushers und Robin Boults unterbrochen wird. Obwohl musikalisch wenig einfallsreich merkt man dem "Schwarzen Kanal" (nicht zu verwechseln mit der beliebten DDR-Fernsehsendung gleichen Namens) die von ihm ausgehende Kraft und Faszination insbesondere in der Live-Situation eines Konzertes an.

Nahtlos schließt sich mit "Jumpsuit City" einer der Titel des bis dato letzten Studioalbums des Schotten an. Interessanterweise steigert sich die Qualität dieser "Suits"-Auskopplungen, je öfter Fish und die Band sich ihrer annehmen und so ist die "Krakow"-Version von "Jumpsuit City" trotz fehlender studiotechnischer Effekte (wie der deutschsprachigen Hintergrundstimme) erstaunlich vielschichtig und dennoch rockiger als das "Original".

Genauso rockig geht es dann - ebenfalls ohne Atempause - mit dem Stück der ersten Solo-Single Fishs weiter. In "Big Wedge" knacken die Gitarren und tönen die (allerdings diesmal wohl vom Synthesizer Foster Pattersons erzeugten) Blasinstrumente zu einem zivilisationskritischen Text über die Allmacht des Geldes. Da dieser dankenswerterweise ganz und gar nicht sozialpädagogisch belastet dargeboten wird, ist "Big Wedge" eines der besten Fish-Stücke und völlig zu Recht in seinem Live-Repertoire.

Wieder von "Suits" stammt nun "Emperorīs Song", ein munteres Liedchen, das auch in der Konzertsituation ganz gut wirkt. Erwähnenswert sind hier wieder die schönen Gitarrenparts des Dou Infernale Boult / Usher, die dem Stück Leben einhauchen. Das so geweckte Publikum wird dann im Anschluß schließlich von Fish begrüßt - und zwar auf Polnisch. Und nun richtet er auch eine kleinere Ansprache an das Auditorium, in der er vor allem das nächste Stück ankündigt: "Lay let it lie", der bereits dritte Titel des "Anzüge"-Albums und die erste Ballade der vorliegenden CD. Obwohl der Liveversion ein paar spannende Gitarrenriffs unterlegt worden, unterscheidet sie sich doch kaum von der Studiofassung - ein ganz nettes Lied, das man aber auch nicht sonderlich vermißt haben würde.

Das Intro des nun folgenden Titels gehört Patterson und Fish. Der Titeltrack von Fish-Solodebütalbum "Vigil in a Wilderness of Mirrors" beginnt mit leisem Keyboard-Spiel und darüber einsetzendem intensivem Gesang. Doch schon recht bald gewinnt das herrlich melodramatische Bombastrock-Stück an Rasanz und wird dann - von harten Gitarrenriffs angetrieben - zu einem der, auch in der über 9 Minuten langen Live-Version, besseren Titel aus dem Repertoire Fishs.

Dazu zählt auch "Shadowplay" von Fishs zweitem, von der Kritik zum Teil stark unterschätzten Solo-Album. Warum die Live-Version im Booklet den Zusatz "medley" trägt, bleibt jedoch ein Geheimnis. Denn obwohl sich gerade das Intro vom Original unterscheidet und die Livefassung auch deutlich kürzer ist, hat sie doch nichts von einem "Medley" im herkömmlichen Sinne.

Nach diesem "Schattenspiel" folgt jedenfalls der erste "Marillion"-Teil des Konzertes. "Fugazi" (das Wort bedeutet im übrigen in etwa "completely fucked up"...) vom gleichnamigen Album ist erneut ein schneller, wütender Rocksong, bei dem einmal mehr die Gitarristen in die vollen greifen dürfen. Nur unbedeutend langsamer wird es dann mit "Slainthe Mhath" (was "zum Wohl", bzw. "na sdarowije", bedeutet). Auch dieses Stück gehört zu den "Marillion"-Klassikern (von der "Clutching at Straws"-LP) und wird von Fish und seiner Band souverän interpretiert - insbesondere Foss Patterson darf mit seinem Synthesizer für einige schöne Effekte sorgen. "Slainthe Mhath" (ausgesprochen etwa "swant schama") ist gleichzeitig das letzte Stück der ersten CD, die sich mithin als exzellente Live-CD mit dem Schwerpunkt auf schnellen, gitarrenorientierten Rocksongs entpuppte.

Ganz in diesem Stil geht es dann auch mit "Credo", dem über zehn Minuten langen Opener der zweiten CD, weiter. Entgegen der Studiofassung beginnt die Live-Version mit einem extensiven Schlagzeugintro von Dave Stewart. Doch spätestens wenn die heulende E-Gitarre einsetzt erkennt man das bitterböse Stück, bei dem die Band auch als (etwas schräger) Hintergrundchor mitsingen darf.

Nach einer kurzen, etwas übertriebenen Ansprache folgt dann die zweite Ballade des Konzertmitschnitts und gleichzeitig der größte Hit, den sowohl Fish als auch seine damaligen Bandkollegen von "Marillion" ("when I was in someother band", um Fishs Umschreibung zu zitieren) jemals hatten - "Kayleigh". Und auch hier macht sich die Wiederholung positiv bemerkbar - inzwischen meistern Boult und Usher die Gitarrenparts beinahe so souverän wie anno dazumal Steve Rothery. Auch wenn man das eher leichte Liebeslied schon tausende Male gehört hat, ist diese Livefassung des Jahres 1995 einmal mehr sehr schön.

Darauf folgt einer der Schwachpunkte der CD. Obwohl "Pipeline" noch eines der besseren Stücke des "Suits"-Album ist, fällt es doch gerade in dem hier gegebenen Zusammenhang mit weitaus besseren Titeln stark ab und macht deutlich, wie weit Fish bei seinem letzten Soloalbum unter seinen Möglichkeiten geblieben war. Sehr gut kommt hingegen die in das Stück eingebaute Vorstellung des Keyboarders Foss Patterson, der sich dafür mit einem infernalischen Solo revanchiert.

Dieses führt dann auch schon in den nächsten Titel über: "Incommunicado" war ein weiterer "Marillion"-Single-Hit und ist, wie die meisten Stücke der letzten gemeinsamen Studioproduktion "Clutching at Straws", ein gutes Stück Rockmusik. Die hier vorliegende Livefassung hebt sich vom Original insbesondere durch das leicht verzerrte Synthesizerspiel und ein paar kleinere Schlagzeugsoli ab. Auch Bassist Ewen Vernal, der im übrigen erst kurz vor dem Krakau-Auftritt als Ersatz für Dave Paton, den langjährigen Mitstreiter Fishs, zur Band gestoßen war, hat ein paar schöne Einsätze.

Nachdem "Incommunicado" hörbar für Stimmung sorgte, folgt mit "Internal Exile" ein weiterer Live-Höhepunkt. Anmoderiert von Fish besticht die Krakauer Version dieses sezzesionistisch angehauchten Stückes um die Unabhängigkeit Schottlands von seinen englischen Nachbarn mit einer dezenten, stimmungsvollen Pianobegleitung. Und dem munteren Gesang der Menge.

Und auch dem nächsten Titel der CD schickt Fish ein paar Worte vorweg. "Lucky" ist erneut ein munteres, sehr rhythmusbetonendes Stück, das gerade in der Livesituation für Stimmung zu sorgen vermag. Hier auf dem "Krakow"-Doppelalbum befindet sich eine besondere, 15 Minuten gewaltige Version mit ausladenden Instrumentalsoli, Vorstellung der einzelnen Bandmitglieder und allem, was so zu einem wahren Knaller gehört.

Für die notwendige Abkühlung nach diesem Gewaltakt sorgt dann "Lavender", eine wunderschöne Ballade vom "Marillion"-Album "Misplaced Childhood", die stilistisch den Balanceakt zwischen Kitsch und Kunst vollbringt. Irgendwann müssen die Konzertbesucher ja ihre Wunderkerzen abbrennen dürfen. Nicht ganz klar ist allerdings, warum Fish hier erneut die einzelnen Bandmitglieder (wenn auch nur im kurzen Überblick) vorstellt.

Ausgerechnet der einzige Titel, an dem Fish weder als Komponist noch als Texter mitgearbeitet hat, bildet den Abschluß der zweiten CD. Die "Boston Tea Party" stammt ursprünglich von der "Sensational Alex Harvey Band" aus Glasgow und ist eine muntere Satire, die an das Ereignis anknüpft, das der Auslöser des amerikanischen (und wie wir wissen erfolgreichen) Unabhängigkeitskrieges gegen England war. (Wer möchte da an Hintergedanken Fishs denken ? In Schottland gibt es schließlich keine Indianer.) Das Lied ist jedenfalls auch in der ī95er-Version ein flottes, gitarrenlastiges Werk der Rockmusik und entläßt den Hörer mit einem Gefühl der Hochstimmung und der Gewißheit, daß es am Krakauer Besuch Fishs musikalisch kaum etwas auszusetzen gibt.

Die Gestaltung der CD ist eher schlicht gehalten. Das Frontcover ist mit Rot und Weiß, den Nationalfarben Polens, unterlegt und trägt neben dem Fisch-Yin & Yang-Symbol, dem Fish-Logo und den (in Anbetracht des Konzertdatums so gerade noch akzeptablen) Eckdaten "1980-1995" lediglich einen großen schwarzen Schriftzug mit dem Titel der CD. Nichts von der bei Fish-Alben sonst so üblichen gestalterischen Verspielheit. Das achtseitige Booklet besteht hauptsächlich aus Fotos vom Konzert und den Musikern, der "Tracklist" und einer kleinen, von Fish selbst verfaßten, Einleitung. In ihr plaudert er im für ihn typischen leicht pathetischen Ton von seinen Erfahrungen mit Polen im allgemeinen und der Show im besonderen. So erfährt man u.a., daß er 1987, bei einem Polenauftritt mit "Marillion", angeblich wegen "Betreten des Rasens" verhaftet wurde und erst nach Zahlung des Gegenwertes von 1 Pfund Sterling in Zloty wieder freikam.

"The fine was the equivalent of Ģ1 sterling. Our translator was nervous but
when the tour manager produced a wedge of Zlotyís, the size of a small
family car, the game fell into perspective. I was lucky. I could pay.
I could walkaway. Many couldnīt."

Wer gerne etwas über solche Anekdoten und ähnliches (etwa die Methode, mit der Fish seine Socken trocknet) liest, wird mit dieser Einführung, in der natürlich die übliche Huldigung des Gastgeberlandes nicht fehlen darf ("The Polish fans are without doubt the most passionate in Europe, if not the World.") gut bedient. Ein Schmunzeln wird man sich jedenfalls bei der Lektüre der Spitznamen der Bandmitglieder nicht verkneifen können, etwa wenn da als Keyboarder ein "Foster īGumpī Patterson" aufgeführt ist. Lediglich beim Abdruck der WWW-Adresse der offiziellen Fish-Internet-Seiten (der von Mark und Julie Wynne zusammengestellten "WWWilderness of Mirrors" ist ein Fehler unterlaufen. Statt "livjm" wurde als Domain "1ivjm" angegeben. Aber der Surfer denkt ja hoffentlich mit.

"Krakow" ist eine exzellente Live-CD. Die Soundqualität läßt fast nichts zu wünschen übrig, nur der Baß ist ein wenig zu schwach abgemischt. Erfreulich ist der (bis auf eine kleine Lücke zwischen "Lucky" und "Lavender") nahtlose Übergang der einzelnen Stücke ineinander - entweder hat man wirklich einen vollständigen Mitschnitt auf CD gepreßt (unwahrscheinlich) oder saubere Studionacharbeit geleistet (wahrscheinlicher). Die Live-Stimmung kommt jedenfalls sehr gut in das heimische Wohnzimmer hinüber, was sicherlich auch nicht zuletzt an den spielfreudigen und exzellenten Musikern Fishs und der nach wie vor klangvoluminösen Stimme des Schotten selbst liegen dürfte. Vergleicht man "Krakow" mit den beiden "Best Of"-CDs "Yin" und "Yang", so findet man auf der Live-CD zwar weniger Stücke und muß auch - bis auf "Black Canal" - gänzlich auf versteckte Kostbarkeiten verzichten. Die Zusammenstellung ist jedoch stärker und beinhaltet fast alle Klassiker aus Fishs Karriere. Da stört auch die erneute Überbetonung des "Suits"-Albums nicht sonderlich. Lediglich die Balladen kommen etwas kurz, doch das ergibt sich wohl aus der Natur der (Konzert)Sache. Wer also erst wenig von Fish kennt oder auch ansonsten auf der Suche nach guter Rockmusik ist, dem sei "Krakow" ans Herz gelegt. Ob man die CD jedoch haben muß, wenn man die Solo-CDs (und die "Marillion"-Alben) bereits sein eigen nennt, sei einmal dahingestellt. In jedem Fall bleibt eine große Frage offen: wann gibt es endlich neues Material ?

Andreas Neumann

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Letzte Änderung: 31. Juli 1997
Andreas Neumann (Neumanna@stud-mailer.uni-marburg.de)