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REZENSION (ursprünglich erschienen in AmigaGadget Nr.20)

Marillion: "Afraid of Sunlight"

Label :EMI Records
Genre :Psychedelic-Rock
Spielzeit :51:27 min
Preis :ca. 30 DM
Interpret :Marillion
Titel :Afraid of Sunlight

Vor gut einem Jahr war es, als sich die britische Band "Marillion" mit dem exquisiten Konzeptalbum "Brave" (siehe AmigaGadget 15) zurückmeldeten und eine langjährige Durststrecke, die von der Veröffentlichung zweier mittelmäßiger Alben geprägt war, beendeten. Doch natürlich bestand die Befürchtung, daß "Brave" eine Eintagsfliege, das berühmte Korn für das blinde Huhn, gewesen sein könnte. Ende Juni erschien nun endlich - nachdem die Auskoppelung "Beautiful" bereits sei einigen Wochen auf dem Markt war - das neue Album mit dem Titel "Afraid of Sunlight" - die Angst des Ikarus vor der Sonne ?

Die CD enthält 8 Stücke, die im Gegensatz zum Vorgänger nicht durch ein übergreifendes Konzept zusammengehalten werden, sieht man einmal von den Übergängen ab, die oftmals aus verfremdeten Sprachfetzen - wie sie "Marillion" auch schon bei "Brave" eingesetzt hatte und die man beispielsweise auch vom Ende der "The Division Bell"-CD von "Pink Floyd" her kennt - bestehen und so die Zäsuren zwischen den einzelnen Tracks aufheben. Erster Titel ist "Gazpacho", ein nicht sehr schnelles Stück mit starken Pop-Einschlägen und dominierenden Drums, das trotz leichter Schwächen durchaus Appetit auf mehr macht.

"They say the King is watching his back again
They say the King is losing his grip again
Raging like a bull to an empty ring
D'you think they will forgive a hero anything ?"

Die Ohren, Augen und anderen Körperteile reibt sich der "Marillion"-Hörer beim nächsten Stück - einem Song, den die einen hassen und die anderen lieben werden. Der Band um Steve Hogarth gelingt das absurde - die Vereinigung der progressiven Musik "Marillion"s mit dem Surf-Mainstream-Pop der "Beach Boys" - eine böse Satire auf die "SchubbiDubbi"-Songs, die jetzt zur Sommerzeit wieder verstärkt die Trommelfelle eines wehrlosen Publikums traktieren werden. Mit swingenden und dennoch aggressiven Gitarrenriffs erzeugen "Marillion" Tempo und Atmosphäre - sicherlich auch auf Chart-Erfolg und Konzert-Wirksamkeit schielend - und machen somit "Cannibal Surf Babe" zu einem durchaus gelungenen, für "Marillion"-Hörer jedoch bestimmt erst gewöhnungsbedürftigen Song, in dem die "Beach Boys", bzw. Brian Wilson, der Songwriter der Surf-Musiker, inhaltlich sogar direkt angesprochen werden.

"I was born in Nineteen sixty weird
Mr. Wilson I'm your nightmare surfer babe
Mr. Wilson where's your sandbox and your beard
Are you still looking for the perfect microwave ?"

Es folgt die Single-Auskopplung "Beautiful", ein - man kann es nicht anders bezeichnen - schönes und auch sehr ruhiges Stück, das inhaltlich teilweise scharf am Kitsch schrammt, musikalisch aber rundum zu gefallen weiß.

"Everybody knows we live in a world where they
give bad names to beautiful things."

Ebenfalls eher ruhig päsentiert sich der Track "Afraid of Sunrise" - eine Art psychedelischer Road-Song. Etwas verwirrend erscheint der Titel, da im Stück selbst nur die Zeile "Afraid of Sunlight" vorkommt - was allerhöchstens als eine Art Ouvertüre für den Titeltrack gedeutet werden kann.

Doch bevor dieser an der Reihe ist, wird es noch ein kleines Stückchen melodischer. "Out of this World" ist erneut eine Ballade mit einigen interessanten Melodiegebäuden, die eine Art retardierendes Element der CD darstellt.

Denn nun steht endlich der Titeltrack "Afraid of Sunlight" an - langsam beginnend und immer schneller werdend, ohne in Hektik auszuarten. Dank gelungener Instrumentierung - Gitarren-Genie Steve Rothery darf endlich mal in den Vordergrund treten - und eines zwar treibenden aber immer noch die Melodie unterstreichenden Rhythmus' ist es ein würdiges Titelstück, das inhaltlich auf Elemente von "Afraid of Sunrise" zurückgreift - womit sich der Zirkel wieder schließt.

"So how do we now come to be
Afraid of sunlight ?
Tell me girl why are you and me
Scared of Sunlight."

Den wohl theatralischsten Song der CD dürfte das nächste Stück, "Beyond You", darstellen. Dominiert von Hogarths Stimme beginnt es sehr ruhig und wird dann von verzerrten und mit Halleffekten verfremdeten Instrumenten getragen ins Bombastische gesteigert. Neben "Kayleigh" und "Sugar Mice" wohl eine der schönsten Balladen "Marillions".

"I will stare from the window
At the shapes in the rain
As the space between us drives me insane."

Einen verwunderlichen Abschluß - wenn man die vorhergegangenen doch eher ruhigen Stücke betrachtet - bildet "King", der achte und letzte Titel der CD. Gleich mit Gitarren-Riffs beginnend ziehen "Marillion" hier noch einmal alle Register ihres Könnens - von der geschickten Lautuntermalung über schöne akustische Gitarrenparts und Hogarths eigenwillige Stimme bis hin zu einem beinahe poetischen Text. Und man sollte darauf gefaßt sein, daß der "King" wirklich am Ende seinen (auch phonetischen) Höhepunkt erreicht hat. Mit das beste Stück auf der CD.

"I hope for your sake...
you've got what it takes
you've got what it takes
you've got what it takes
to be spoilt to death."

"Afraid of Sunlight" ist ein eigenartiges Album. Äußerlich stellt man eine fast provozierend wirkende Distanzierung von den klassischen Genres fest - konnte man die Single-CD "Beautiful" aufgrund ihres Covers stets unter Techno-CDs eingeordnet finden, weckt das einen mit Engelsflügeln versehenen Jungen zeigende Cover von "Afraid of Sunlight" genauso Assoziationen zu R.E.M.s "Losing my Religion"-Video wie zu "Zombie" von den Cranberries. Doch klappt man das Cover vollständig auf, wirkt es - was wohl der tatsächlichen Einordnung am nächsten kommen dürfte - wie von einer "Pink Floyd"-CD entwendet - ganz im Gegensatz zur neonstrahlenden Jesus- Figur, die die Rückseite der CD ziert. Die Texte - in einem ausführlichen aber nicht sonderlich begeisternden Booklet dargeboten - sind größtenteils sehr gut, wenngleich die Qualität früherer "Marillion"-Alben mit Fish als Leadsänger und Texter nach wie vor nicht erreicht wird. Musikalisch ist "Afraid of Sunlight" eine Synthese aus den Elementen von "Brave" und - bedauerlicherweise - zum Teil aus "Holidays in Eden", dem wohl schwächsten "Marillion"-Album, das jemals erschienen ist. Man merkt jedoch deutlich, daß die Stücke größtenteils genaustens ausgeklügelt wurden - noch nicht einmal das rockige "Cannibal Surf Babe" wirkt völlig bodenständig -, so daß man vermuten kann, daß "Marillion" sich offensichtlich Mühe geben werden, in Zukunft die mit "Brave" eingeschlagenen Pfade weiterzuwandern - hin zu psychedelischer Rockmusik ähnlich "Pink Floyd" (ohne jedoch in irgend einer Weise ein Abklatsch der VW-Combo zu sein). Ein großes Manko von "Afraid of Sunlight" darf jedoch nicht verschwiegen werden : die Instrumentierung ist in keinster Weise mehr so genial, wie sie es in "Brave" noch war. Nicht nur, daß Steve Rothery seine Gitarre fast an keiner Stelle richtig ausreizen darf, es fehlen auch die exotischen Instrumente wie Harfe oder Dudelsack - was sich in etwas weniger dichter Atmosphäre der Musik niederschlägt. Auf hohem Niveau stabilisiert hat sich jedoch Hogarths Gesang - mit den Vorbehalten, die auch schon bei "Brave" galten und die "Fish"-Puristen sicherlich nach wie vor abschrecken können. Im großen und ganzen ist "Afraid of Sunlight" für Liebhaber psychedelischer Rockmusik ein hervorragender Kauf, der sich allemal rentiert. "Marillion"- Fans, die "Brave" mochten, werden sich wohl auch an "Afraid of Sunlight" nicht stoßen. Anders mag es da schon bei der "alten Garde" aussehen - denn mit "Misplaced Childhood" oder "Script for a jester's tears" hat die neue CD wirklich nicht mehr viel gemein. Für alle anderen kann die fast uneingeschränkte Empfehlung nur lauten : kaufen ! Blieben noch zwei guten Neuigkeiten zu vermelden. Für "Marillion"-Fans sei auf die große "Afraid of Sunlight"-Tournee hingewiesen, bei der Steve Hogarth, Steve Rothery, Mark Kelly, Pete Trewavas (der seine Bass-Gitarre bei "Cannibal Surfe Babe" übrigens ganz außergewöhnlich gut quält) und Ian Mosley im Herbst auch nach Deutschland kommen. Und alle anderen seien darauf aufmerksam gemacht, daß es "Brave", die ausgezeichnete "Marillion"-CD vom letzten Jahr, inzwischen als "Nice Price"-CD für etwa 20 DM zu kaufen gibt. Und wer sich die nicht holt, verpaßt nicht nur das wohl beste Album des letzten Jahres, sondern ist auch selbst schuld....

Andreas Neumann

"She looked like she had sex
With a tyrranosaurus rex"
-- Cannibal Surf Babe

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Letzte Änderung: 19. Januar 1997
Andreas Neumann (Neumanna@stud-mailer.uni-marburg.de)