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REZENSION (ursprünglich erschienen in AmigaGadget Nr.35)

Marillion: Fugazi

24 Bit Digital Remaster

Plattenlabel : EMI Records Ltd.
Genre : Progressiv-Rock
Spieldauer : 87:16 min
Preis : ca. 40 DM

Die Nagelprobe, die eine aufstrebende Rockband bestehen muß, um sich einen festen Platz im professionellen "Musikbusiness" zu sichern, ist nicht unbedingt die Veröffentlichung eines vielversprechenden Erstlingwerkes. Weitaus schwieriger gestaltet sich in der Regel das zweite Album. Wagt man es, neue Wege einzuschlagen und die noch kleine und wenig verbundene Fangemeinde zu verlieren ? Wie verarbeitet man die Erfahrungen mit der ersten Platte ? Halten die Bindungen innerhalb der Band oder obsiegen Intrigen und Eifersucht ? Mit all diesen Fragen sahen sich auch die britischen Progressiv-Rocker von "Marillion" nach ihrem erfolgreichen Debüt mit "Script For A Jester`s Tear" konfrontiert. Und tatsächlich stellten sie die Musiker vor die eine oder andere Zerreißprobe, die zu meistern ihnen jedoch glückte. Das größte Problem betraf dabei eine Personalfrage. Der Schlagzeuger der Band und Mitbegründer "Marillion"s, Mick Pointer, beanspruchte einen größeren Anteil am Erfolg der Gruppe für sich, als ihm die anderen - und insbesondere Frontmann "Fish" - zugestehen wollten. Es kam zum Bruch, der vor allem zwischen Pointer und "Fish" bis zum heutigen Tage auch nicht wieder geschlossen werden konnte. Doch die Suche nach einem Nachfolger auf dem Posten hinter dem Schlagzeug gestaltete sich ebenfalls alles andere als unproblematisch. Verschiedene Kandidaten wurden kurzzeitig engagiert und nach eben solcher kurzen Zeit auch wieder aus der Band entlassen. Ex-"Camel"-Mitglied Andy Ward war dem Streß nicht gewachsen. John Martyr konnte sich nie richtig in "Marillion" einfügen. Und der Bostoner Jonathan Mover kollidierte mit dem übermächtigen Ego von "Fish" - was zu einem "er oder ich"-Ultimatum durch den Schotten und der nachfolgenden Entscheidung gegen Mover führte. Erst Ian Mosley, der zuvor u.a. für Steve Hackett getrommelt hatte, genügte den Ansprüchen der vier verliebenen "Marillion"-Musiker und wurde nach kurzer Zeit zu einem festen Mitglied der Band. Doch damit nicht genug. Auch die Aufnahmen zum zweiten Album der Band wurden zu einer Tour de Force. Monatelang verharrte der kreative Output der Gruppe beinahe bei Null und dann mußte das Album unter Hochdruck in ein paar Wochen fertiggestellt werden - was nicht nur die Nerven von Produzent Nick Tauber ruinierte, sondern "Marillion" auch dazu zwang, zeitweilig in zwei Studios gleichzeitig zu arbeiten. Das Ergebnis war eine LP, die in vielem eher unfertig wirkte, aber dennoch auch einige musikalische Höhepunkte enthielt, deren Stil allerdings den Ruf der Band als inoffizieller "Genesis"-Nachfolger nur noch verstärkte. Eines der größten Mankos des "Fugazi" betitelten Albums war jedoch die mangelnde klangliche Brillianz der Aufnahme - die Hoffnungen, dass das von Peter Mew im Laufe des Jahres 1997 geschaffene Remaster hier Abhilfe schaffen würde, waren dementsprechend groß.

Und tatsächlich hat der Sound der CD erheblich an Qualität gewonnen. Die meisten der insgesamt sieben Tracks wirken regelrecht generalüberholt. Die einzelnen Instrumente klingen - insbesondere in den tiefen Passagen - akzentuierter und die Klangfarben erscheinen satter und lebendiger. Der Effekt ist (rein subjektiv) sogar noch deutlicher und positiver als der auch schon beim "Script"-Remaster zu verzeichnende. Am Songmaterial selbst hat sich naturgemäß nichts geändert. Das Album ist um einiges düsterer als sein Vorgänger, mehreren schnellen Titeln steht mit "Jigsaw" nur eine einzige richtige Ballade gegenüber. Fast jedes Stück ist ziemlich dramatisch inszeniert und enthält ausgedehnte Solo-Passagen, bei denen einmal mehr sich vor allem Ausnahmegitarrist Steve Rothery auszeichnen kann. Inhaltlich dreht sich "Fugazi" vor allem um (Zweier)-Beziehungen - die Spielchen, die man in ihnen spielt, die Geheimnisse, die man voreinander hat, und die Bitterkeit, die einen im Falle ihres Scheiterns überkommt. Das wird mal zornig-kraftvoll dargeboten - wie im Live-Klassiker "Assassing", bei dem sich jeder "Fugazi"-Hörer und ausweislich des Booklets auch der für die Namensgebung zuständige "Fish" selbst früher oder später angesichts des tatsächlichen Text über den Sinn des abschließenden "g" wundert, und mal poetisch-bombastisch wie in "Emerald Lies", in dem "Fish" das Thema Eifersucht und die insoweit offensichtlich ergiebige Beziehung mit seiner damaligen Freundin aufarbeitet. Doch der krönende Abschluß folgt auch tatsächlich am Ende des Albums. Zunächst wird mit dem achteinhalb Minuten langen "Incubus" das längste Stück des Albums dargeboten, das nicht zu Unrecht im Booklet von "Fish" explizit zu seinen Favoriten aus der "Marillion"-Zeit gezählt wird. Und dann folgt - nicht minder brilliant - der (sich ebenfalls über acht Minuten erstreckende) Titeltrack, der nicht nur mit einem eindringlichen Keyboard-Solo beginnt, mit dem Mark Kelly einmal mehr seine Bedeutung für die Band unter Beweis stellt. Auch die weitere Instrumentierung ist hier genialistisch auf den wechselhaften Rhythmus und den steil ansteigenden Spannungsbogen zugeschnitten. Hinzu kommt ein bitterböser, sehr assoziativ wirkender Text, in dem "Fish" einen zynischen Kommentar zum Zustand der Erde abgibt - ganz im Sinne des Slang-Wortes "Fugazi", das aus dem Vietnam-Krieg stammt und dort als Synonym für "all fucked up" verwendet wurde. Eine Einschätzung, die mit Sicherheit nicht für das Album "Fugazi" gilt - auch wenn man sich vielleicht insgesamt ein wenig mehr Abwechslung gewünscht hätte und eine Verlängerung der Produktionszeit einigen Songs damals sicher auch nicht geschadet hätte. Jedenfalls die "Lyrics" machen ihrem Namen aber alle Ehre und sind so "lyrisch" wie selten zuvor und auch nicht allzu oft danach im Verlauf der Karriere "Marillion"s.

"To don the robes of Torquemada, resurrect the inquisition
And in that tortured subtle manner inflict questions within questions,
Looking in shades of green through shades of blue,
I trust you trust in me to mistrust you."

Gegenüber dem furiosen Ende der eigentlichen "Fugazi"-CD beginnt die Silberscheibe mit den Bonus-Tracks eher verspielt. Und auch der Titel des Openers weckt wohl eher Assoziationen zu Märchenwelten denn zum düsteren Weltuntergang à la "Fugazi": "Cinderella Search", das hier in der 12"-Fassung vorliegt, ist eine musikalisch allemal solide, aber letzten Endes - gemessen an den hohen "Marillion"-Standards - auch nicht allzu aufregende Ballade, deren Stärken vor allem in der verträumten Keyboard-Begleitung und im wieder einmal exzellenten Text liegen. Es folgt der "Alternate Mix" von "Assassing", der etwa eine halbe Minute länger als die Album-Version ist und sich von ihr vor allem durch die Veränderungen in der Gitarrenbgleitung und eine kurz nach der halben Spielzeit eingeschobene Instrumentalsektion unterscheidet. Bekannt auch das sich anschließende "Three Boats Down From The Candy". Allerdings nicht von "Fugazi" sondern vom "Script For A Jester`s Tear"-Remaster, auf dessen Bonus-CD sich der Song bereits schon einmal befunden hatte. Allerdings liegt hier eine etwas abgewandelte Version vor, die weiter entwickelt klingt und vor allem auch über eindringlichere Baßläufe verfügt. Was aber die Verteilung über zwei Remaster hinweg soll, wird wohl ein Geheimnis von EMI und "Marillion" bleiben - ging es doch eigentlich darum, auf den Bonus-Discs Material zu versammeln, das in dieselbe Epoche der Bandgeschichte gehört. Dass - möglicherweise auch aufgrund des hektischen Produktionsablaufs im Jahre 1984 - allgemein wenig Zusatzmaterial vorhanden war, zeigt sich auch daran, dass die vier nun folgenden Demo-Versionen späterer "Fugazi"-Titel ("Punch & Judy", "She Chameleon", "Emerald Lies" und "Incubus") den verbleibenden Platz der Bonus-CD einnehmen und die einzigen bisher unveröffentlichten Aufnahmen der Remaster-Doppel-CD darstellen. Bedauerlicherweise läßt bei ihnen nicht nur die Klangqualität durchaus zu wünschen übrig. Sie sind auch nicht sonderlich aufregend - mit Ausnahme der Demo-Fassung von "Emerald Lies", die sich von der endgültigen Version durch einen äußerst interessanten schnellen Zwischenteil unterscheidet und sie fast reizvoller als "das Original" klingen läßt. Alles in allem ist die Bonus-CD des "Fugazi"-Remasters jedoch enttäuschend. Selbst hartgesottene "Marillion"-Fans dürften sich durch die lediglich vier "neuen" Aufnahmen kaum begeistern lassen.

"Maybe it was infatuation or the thrill of the chase
Maybe you were always beyond my reach and my heart was playing safe
But was that love in your eye I saw or just the reflection of mine?
Give me time, won`t you give me that time!"

Bleibt das Booklet. Und auch dieses hinterläßt einen zwiespältigen Eindruck. Das Bildmaterial, das vor allem aus Photos von Steve Rothery und Mark Wilkinson, dem für das Cover verantwortlichen Künstler, besteht, ist wie immer recht kurzweilig und wird Freunden der Band sicherlich gefallen. Und auch die ausführlichen Hintergrundberichte von "Fish" und Mark Kelly - zu denen sich noch kurze Wortmeldungen von Wilkinson und dem damaligen Tontechniker Simon Hanhart gesellen - enthalten so manche interessante Insider-Information und einige entlarvend ehrliche Eingeständnisse, etwa wenn "Fish" über seine Probleme mit Schlagzeuger Mover ("I admit I wasn`t exactly opened armed to Jonathan and did indulge in psychological warfare (including cherry bombing his bedroom and bathroom at every available opportunity!), in order to test his mettle.") oder Mark Kelly über die von ihm veranlaßte Entfernung bereits fertiger und von "Fish" befürworteter "Backing Vocals" von Linda Pyke für "Incubus" plaudert. Doch nicht nur, dass man bei EMI - im Gegensatz zum "Script"-Remaster - hier keine Spielzeiten der einzelnen Titel angegeben hat. Besonders schwer wiegen bei einer Neuveröffentlichung, die sich wie ein solches Remaster offenkundig vor allem an langjährige Fans der Künstler richtet, natürlich auch die Details. Und hier wirkt "Fugazi" in der Tat teilweise recht "abgefuckt". Relativ harmlos ist noch ein Fehler in der URL der "Fish"-WWW-Seiten. Durchaus störend wirken aber zahlreiche Rechtschreibfehler, die sich nicht nur in die genannten Informations-, sondern sogar auch in die Songtexte eingeschlichen haben. Und gerade die letztgenannten zeigen, dass man bei der Erstellung des "Fugazi"-Remasters wohl eher halbherzig zur Sache gegangen ist. Während einige kleine Fehler des Original-Booklets ausgemerzt wurden (z.B. im Text von "Emerald Lies"), sind viele neue hinzugekommen (am deutlichsten wird das in der arg verschlimmbesserten "Swastika"-Strophe von "Fugazi"). Ein Korrekturlesen hätte wohl keinem wehgetan und die Freude des nach gut gemachten "Marillion"-Memorabilien strebenden CD-Käufers gemehrt.

"A son of the swastika of `45 parading a peroxide standard,
Graffiti disciples conjure testaments of hatred
Aerosol wands whisper where the searchlights trim the barbed wire hedges,
This is Brixton chess."

"Fugazi" wirkt auch in der Remaster-Fassung unfertig und wie unter zu großem Druck zusammengestellt. Dabei hat das eigentliche Remastering sein Ziel völlig erreicht - die Klangqualität des Albums entspricht endlich heutigen Standards und dürfte auch audiophile Musikliebhaber zufrieden stellen. Für einen schalen Beigeschmack sorgen vielmehr die Flüchtigkeitsfehler in der Aufmachung und die weitgehend wenig faszinierende Bonus-CD. Dennoch ist "Fugazi" von seiner Substanz her natürlich ein sehr gutes Prog-Rock-Album. Wer "Script" mochte, dürfte auch von dessen etwas schnellerem und lebhafterem Nachfolger nicht enttäuscht werden. Und hinsichtlich der poetisch-versponnenen Texte dürfte "Fugazi" sogar zu den besten Produkten gehören, die "Marillion" je abgeliefert haben. Es mag im ganzen nicht unbedingt ein Meilenstein der Musikgeschichte sein. Fugazi ist es aber mit Sicherheit auch nicht.

Andreas Neumann

"The remastering goes a long way towards making the album sound as it should have the first time around and lays to rest a few ghosts for me..."

-- Mark Kelly

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Letzte Änderung: 17. Mai 1998

Andreas Neumann (Neumanna@stud-mailer.uni-marburg.de)